Bei nahezu jeder Weinprobe steht es auf dem Tisch: Das obligatorische Brotkörbchen. Zum Neutralisieren, heißt es dazu in der Regel und ansonsten wir über das Gebäck kein Wort verloren. Dabei steckt in der Verbindung von Brot und Wein viel mehr.
Historisch gesehen begleiten Brot und Wein die Menschheit bereits seit Jahrtausenden: Man nimmt an, dass bereits vor rund 30.000 Jahren die ersten Urbrote verzehrt wurden. Erst deutlich später, um 6.000 v. Chr., kelterte man in Georgien nachweislich die ersten Weine. Seitdem allerdings gehen Brot und Wein gemeinsame Wege und erlangten mit ihrem Stellenwert im christlichen Abendmahl gar sakrale Bedeutung. Ohne Zweifel heilig ist auch uns Deutschen unser täglich Brot. Die deutsche Brotkultur ist sogar offiziell als immaterielles Kulturerbe anerkannt. Rund 3200 verschiedene Sorten sollen hierzulande gebacken werden – Weltrekord! Wer bei dieser Vielfalt den Durchblick behalten möchte, kann sich heute sogar zum »Brotsommelier« ausbilden lassen, der in Anlehnung an den Weinsommelier alles über die Kultur, die Herstellung und das korrekte Verkosten von Brot weiß. Alleine das zeigt: Brot auf jeden Fall das Potenzial, mehr als sättigendes Beiwerk zu sein!
Tatsächlich ist die Begegnung von Brot und Wein auch gar nicht so neutral, wie oft behauptet wird: Schließlich besteht Brot aus Kohlenhydraten, die im Mund vom Speichel gespalten und so als Süße empfunden werden. Außerdem enthält es Salz, das wie ein Weichzeichner auf Wein wirkt: Harte Gerbstoffe wirken sanfter, die Säure weniger spitz, der Wein erscheint insgesamt harmonischer. Außerdem besitzt jedes Brot ein ganz eigenes Aroma: Manche bringen in ihrer Kruste mehr Röstaromen mit, andere haben eine besonders saftige, würzige Krume im Inneren. Auch Gewürze, wie zum Beispiel Kümmel, sind wichtige Faktoren. Brot zum Neutralisieren bei einer Weinprobe ist also nur bedingt eine gute Idee – man sollte seinen Einfluss auf die Sensorik des Weines im Blick behalten.
Oder man legt es bewusst auf diesen Einfluss an: Treten Brot und Wein bei einer Verkostung als gleichberechtigte Partner auf, können neue Genusswelten entstehen. Dazu bedarf es zunächst eines kleinen geschmacklichen Kompasses. Grundsätzlich gilt: Je dezenter das Brotaroma, desto leichter und zarter darf der Wein sein und umgekehrt. So passt zu einem hellen Baguette ein eleganter Weißwein wie der Silvaner. Kernige Roggenbrote mit dunkler, röstiger Kruste können es dagegen mit holzgeprägten Weinen und wuchtigen Roten aufnehmen. Besonders spannend ist es, Brotkreationen mit ausgefallenen Zutaten und Gewürzen zu passend abgestimmten Weinen zu probieren – Chilibrot spielt mit der Frucht eines halbtrockenen Muskatellers, Hefegebäck greift den Charakter eines flaschenvergorenen Sektes auf und Nüsse oder Kastanien im Brot zähmen die kräftigen Tannine einer dunklen Rotweincuvée. Der Kreativität sind hier keine Grenzen gesetzt!
Natürlich braucht es dazu - neben passenden Weinen - einen handwerklich versierten Bäckermeister, der Spaß an diesem Experiment hat. In der Pfalz sorgen zum Beispiel die Brotpuristen aus Speyer für Aufsehen und auch traditionelle Familienbäckereien profitieren vom neuen Kult ums Brot – so hat es zum Beispiel Wolfgang Schmidt aus Dreisen am Donnersberg mit seinen Brotideen sogar ins Fernsehen (»Krosse Kruste – krasses Brot«, SWR) geschafft. Zusammen mit dem Wein sind sie Teil der regionalen Genusskultur der Pfalz!