Kaiser Wilhelm II. war 1902 so wütend auf die USA, dass er den deutschen Botschafter aus Washington zurück befehligte. Grund seines gerechten Zorns war folgender Fauxpas: Vor der Taufe seiner neuen Yacht Meteor III in New York City wurde die vorgesehene Magnum-Flasche Söhnlein-Schaumwein namens Rheingold Sekt heimlich durch eine Flasche Moet & Chandon ersetzt. Dieser Vorfall ging als Champagner-Krieg in die Geschichtsbücher ein, festigte den Namen der Marke Söhnlein und damit den Ruf des deutschen Sektes.
Diese Anekdote belegt den damaligen Anspruch und Stellenwert des Sektes, der bis heute ungebrochen ist, denn Deutschland ist unangefochtener Weltmeister im Schaumweinkonsum. Stolze 3,4 Liter pro Kopf werden im Jahr getrunken, ob im Büro, zum Apero, bei Schiffstaufen, Formel 1 Siegen oder schlicht zur Feier des Tages: Wenn die Korken knallen, lassen wir alles stehen und liegen und ergehen uns in feierlicher Geselligkeit.
Fahler Glanz trotz strenger Regeln
Kein anderes Getränk erfährt in den letzten Jahren in Deutschland eine ähnliche Dynamik wie Sekt. Die Pfalz hat einen nicht unerheblichen Anteil am Rückenwind dieser Bewegung. Der größte Sekthersteller der Pfalz (Schloss Wachenheim AG mit 10% Weltmarktanteil) ist in Wachenheim ansässig und ein Großteil der rheinland-pfälzischen Sektproduktion stammt ebenfalls aus der Pfalz. Es scheint also allen Ortes zu blubbern, was das Zeug hält, dennoch lohnt ein näherer Blick auf die Szene. Lange Zeit gehörte es zum guten Ton eines jeden Winzers, neben seinen Weinen auch noch einen Sekt und einen Schnaps im Programm zu haben. Doch die Qualitäten verharrten oft weit unter ihren Möglichkeiten, denn Sekt war entweder Nebenprodukt, für das Trauben verwendet wurden, die es nicht in den Wein schafften. Oder es waren Prestige-Objekte, die sich an den Tugenden der Reife, nicht selten 13%, und somit einer barocken Pracht rühmten. Was im Rückblick beiläufig klingt, belegt jedoch eines: Der Sekt stand nicht im Fokus, seine Strahlkraft höchstens seidenmatt. Er wurde entweder stiefmütterlich behandelt oder der Winzer dachte, Sekt sei Wein mit Bubbles - ein fataler Irrtum! Denken Sie an die Küche: Kochen ist nicht backen, denn beides folgt unterschiedlichen Regeln und Gesetzen. Ebenso verhält es sich mit den grundverschiedenen Gattungen Wein und Sekt.
Kochen ist nicht Backen
Um qualitativ herausragende Sekte zu produzieren, muss folglich nicht Wein, sondern Sekt gedacht werden. Und zwar bereits bevor die Trauben reif sind. Dieses radikale Umdenken hat in den letzten Jahren zu einem Ruck und somit zur qualitativen Steigerung der deutschen und natürlich der Pfälzer Sekte geführt. Dabei galten für Winzersekte seit jeher die strengsten Regeln, um höchste Qualität zu garantieren. Sie dürfen einzig und allein aus eigenem Traubenmaterial hergestellt werden und müssen mittels traditioneller Flaschengärung (auch Méthode Champenoise genannt) hergestellt werden. Nach der zweiten Gärung auf der Flasche muss er mindestens neun Monate auf der Hefe reifen, was jedoch in vielen Betrieben um ein Vielfaches länger ausfällt. Dennoch blieb er lange unter seinen Möglichkeiten. Doch warum passiert das alles erst jetzt, wo doch Sekt eine weit über hundertjährige Geschichte hat? Bis zum Inkrafttreten des neuen Weingesetzes am 30. Juli 1971 herrschte ein staatliches Sektmonopol, das es nur den großen Sektkellereien erlaubte, Sekt herzustellen. Die großen Häuser, wie Söhnlein, Mumm, Henkell oder Kupferberg, produzierten jahrgangsunabhängige Markenprodukte gleichbleibender Qualität. Erst nach Fall des Monopols war es auch Winzern und Genossenschaften erlaubt, Sekt zu produzieren. Parallel zu den großen Marken haben sich seitdem die Winzer-Sekte etabliert. Rund 1.200 Betriebe produzieren heute Sekt.
Der Pfälzer Aufbruch
Nachdem bereits 130 Jahre zuvor von der Sektkellerei Fitz & Baust im pfälzischen Dürkheim als "Königlich-bayerischer Hoflieferant" Sektgeschichte geschrieben worden war, hatte nun Sekt wieder eine feste Heimat in der Pfalz gefunden. Das Wein- und Sektgut Wilhelmshof von Christa Roth-Jung und Herbert Roth im südpfälzischen Siebeldingen zählt zu den Pionieren, die den Aufbruch der Sekt-Szene maßgeblich mitgestaltet haben. Seit 1982 führt der Betrieb den Sekt als ebenbürtiges Produkt im Namen und zählt inzwischen zu den alten Hasen des Pfälzer Sektes. Steffen Mugler und Michael Andres gründeten im Jahre 1989 die reine Sektkellerei Mugler & Andres in Ruppertsberg, die sich ausschließlich der Produktion von Qualitätssekten verschrieb und mittlerweile zu den dienstältesten privaten Sektproduzenten zählt. Die Winzer-Sekte von Hans-Jörg Rebholz und Frank John zählen seit langem über die Grenzen der Pfalz hinaus zu den Spitzen-Produkten des Landes und mittlerweile drängen immer mehr junge Betriebe mit ihren exzellenten Sekten auf den Markt. Betriebe wie die Lebenshilfe Bad Dürkheim e. V. räumten beim Deutschen Sektpreis mit ihrem 2016 Dürkheimer Schenkenböhl ebenso ab wie das Freinsheimer Weingut Rings mit ihrem 2014 Pinot Brut Rosé. Marie Menger-Krug produziertaus den Deidesheimer Lagen des elterlichen Weingutes seit 2017 ihre eigene Sekt-Linie unterdem Namen Motzenbäcker und markiert nicht nur den Aufbruch der nächsten Generation, sondern auch eines neuen Bewusstseins, das sich durch die gesamte junge Szene zieht.
Biologischer Weinbau als neuer Qualitäts-Parameter
Biologischer oder biodynamischer Weinbau wurde noch vor wenigen Jahren als esoterisch oder viel zu riskant betrachtet. Inzwischen hat er sich als Voraussetzung für beste Traubenqualität von gesunden Reben aus einem stabilen Ökosystem auch in der Schaumwein-Szene etabliert. Spontane Vergärung der Moste mit weinbergseigenen Hefen sowie die biologische Bewirtschaftung des Wingerts genießen heute ein neues, ganz natürliches Selbstverständnis und ziehen sich wie ein roter Faden durch die Liste der höchst bewerteten Schaumweine der Pfalz. Aus einer Sektlaune heraus entstand der erste Schaumwein im Weingut Scheuermann. Die Brüder Simon und Gabriel Scheuermann machten ihren ersten Sekt, um ihren schaumweinbegeisterten Vater zum 50. Geburtstag zu überraschen. Mehr als zufrieden mit dem Ergebnis gingen sie in die Produktion und brachten im Jahre 2016 den 2014 Blanc de Blancs auf den Markt, der bei der Verkostung der "Generation Pfalz" (heute:Winzer-Nachwuchswettbewerb "Junge Pfalz") sofort Aufsehen erregte. Ein Rosé liegt in freudiger Erwartung noch auf der Hefe, ebenso wie weitere Prestige-Füllungen, die mit bis zu sechs Jahren Hefelager erst 2023 in den Verkauf kommen werden. Ihren Erfolg erklären sich die sympathischen Niederkirchener durch die Schritte, die lange als verpönt galten: Frühe Lese ab 70 Grad Oechsle, eine sanfte Pressung, um möglichst säurebetonte Grundweine zu erhalten, sowie spontane Vergärung und völliger Verzicht auf Schwefel. Aus anfänglichen 1.500 wurden inzwischen rund 7.000 Flaschen, Tendenz: steigend. Diese Entwicklung spiegelt die Dynamik der deutschen Sektszene präzise wider. Auch bei Sven Leiner vom Südpfälzer Weingut und Demeter-Betrieb Jürgen Leiner in Ilbesheimist Sekt ein stark wachsendes Segment. Die rund 2.500 Flaschen Jahresproduktion sind stets ausverkauft und auch hier ist die Tendenz steigend. Für seinen mehrfach ausgezeichneten Sekt baut Sven Leiner Chardonnay und Pinot Noir im Holzfass aus und cuvetiert den Sekt aus unterschiedlichen Jahrgängen. Grade erschienen ist der "16/17/18", bezugnehmend auf die darin verwendeten Jahrgänge der Grundweine. Stattdem Sekt wie üblich Reinzuchthefe und Zucker zuzugeben, gibt Leiner einen Teil des nicht völlig durchgegorenen 2018er Jahrgangs als Dosage auf die Flaschen. Durch den konsequent biodynamischen Anbau kommt der Sekt völlig ohne zugesetzten Schwefel aus und erquickt mit schlanken 11,5%. Der kompromisslos trockene Ausbau des Sekts hebt ihn ab vom Gros der 'trockenen Sekte', die mit einem Restzuckergehalt zwischen 17 und 32 Gramm rund 45% des Marktes ausmachen.
Sorten als Spiegel der Herkunft
Ebenso wie Gabriel Scheuermann arbeitet Sven Leiner für seinen Sekt ausschließlich mit den Burgundersorten Chardonnay und Pinot Noir. Der Blick der neuen Sekt-Avantgarde in die Champagne ist augenscheinlich. Sie ist die unangefochtene Benchmark für die Produktion flaschenvergorener Schaumweine, nicht nur in der Pfalz, sondern weltweit. Doch was ist mit der deutschen und Pfälzer Leitrebsorte, dem Riesling? Nach Auswertung des Deutschen Wein Instituts (DWI) ist der Riesling rückläufig und Burgunder Sekte erfreuen sich immer größerer Beliebtheit. Der Riesling markiert zwar weiterhin die Spitze beim deutschen Sekt, perspektivisch wird sich das jedoch weiter verschieben. Das hat zum einen klimatische Gründe, zum anderen bietet das Spiel mit den Burgundern eine größere Spielwiese und ermöglicht neben der klassischen Cuvée auch Blanc de Blancs, Blanc de Noirs, den reinsortigen Ausbau sowie Rosés, einem populären und ebenfalls steigenden Marktsegment. Noch dazu wurde in den letzten 40 Jahren versäumt, Riesling als Identität stiftende Rebsorte zu etablieren. Die Kellereien verwenden ihn selten, und die Winzersekte, deren Auflage selten 1.000 - 2.000 Flaschen überstiegen, konnten dies in der Eigenvermarktung nicht leisten. Dabei bietet Riesling neben den Burgundersorten beste Voraussetzungen als Alleinstellungsmerkmal. Mathieu Kauffmann, ehemaliger Kellermeister des Champagnerhauses Bollinger in Aÿ, kam 2013 in die Pfalz. Sein Auftrag war, den Riesling zurück zur alten Größe zu führen. Das ließ Kauffmann sich nicht zweimal sagen und gründete 2019 zusammen mit Sophie und Steffen Christmann das Sektgut Christmann et Kauffmann in Gimmeldingen. Deren erster Jahrgang wurde jüngst zur zweiten Gärung gefüllt und lässt Großeserwarten. Denn Riesling, so Kauffmann, hat mindestens so viel Potential wie der Chardonnay, vielleicht sogar größeres. Es gebe lediglich einpaar Kleinigkeiten, die man dafür beachten müsse: "Ein großer Wein lebt immer vom Wechselspiel von Säure, Schmelz, Konzentration und Phenolik, die für die Textur oder das Mundgefühl verantwortlich ist." Um bestes Lesematerial zu erhalten, beginnt die Aufmerksamkeit bei den Böden, denn es kann kein guter Wein von schlechten Böden kommen. Nur gesunde Böden mit entsprechender Humus-Auflage liefern Trauben für beste Sekte. Dafür ist die biologische, besser noch biodynamische Bewirtschaftung für Kauffmann ebenso zwingende Voraussetzung wie für seine Partner Sophie und Steffen Christmann, die ihr VDP-Weingut bereits seit 2003 biodynamisch bewirtschaften. "Für die Balance muss die Lese dem Terroir angepasst werden und die Trauben müssen schonend verarbeitet werden, um die Säuren und den daraus resultierenden salzigen Eindruck zu erhalten." Die spontane Vergärung im Holz für den Schmelz und der vorsichtige Sauerstoffkontakt durch den Fassausbau gebenden Weinen die nötige Stabilität für die weitere Verarbeitung. Chemie und Filtration sind natürlich tabu und ein langes Hefelager führt letztlich alle vorangehenden Schritte zum Erfolg - einem großen Sekt mit klarem Herkunftscharakter. "So einfach ist es", sagt Kauffmann und hofft, dass sich dieser Trend weiterhin festigt. Wir freuen uns derweil auf die ersten Sekte aus dem Hause Christmann et Kauffmann. Nie hat Sekt so viel Spaß gemacht wie heute. Er ist herausgetreten aus der Nische des Nebenproduktes als selbstbewusstes Artefakt seiner Herkunft und seines Jahrgangs. Sein zunehmender Erfolg gibt den Produzenten recht. Immer mehr Winzer denken um, denken Sekt statt Wein,und immer öfter geht dieses Umdenken einher mit biologischer Bewirtschaftung, zeitiger Leseund spontaner Vergärung mit weinbergseigenen Hefen, um ihre Herkunft bestmöglich zu konservieren. Auch im Weinbau strittige Philosophien wie der geringe Einsatz bis hin zum vollständigen Verzicht auf Schwefel sind beim Sekt leichter umzusetzen und führen zu völlig neuen Ergebnissen. Die Bewegung ist im vollen Fluss und sobleibt hoffentlich auch in Zukunft weiterhin alles anders, vor allem aber eins: Sprudelnd!
Text: Sebastian Bordthäuser