Ein Orden für den Pfälzer Wein
Der Saalbau in Neustadt an der Weinstraße platzt aus allen Nähten. Einige Herren halten launige Reden, danach treten die Deutsche, dann die frischgewählte Pfälzische Weinkönigin ans Rednerpult. Rund tausend Männer und Frauen sitzen an langen Tafeln und lauschen. Schließlich tritt der Ordenskellermeister auf. Er spricht über Wein, genauer: über Pfälzer Weine. Um die Tische kreisen in Trachten gewandete Damen und schenken mit geübtem Schwung die Weine aus, von denen der Redner vorne spricht. Mehr als zwanzig Weine werden es an diesem Abend sein, auf der allherbstlichen »Großen Pfalzweinprobe« der Pfälzer Weinbruderschaft.
Auf der umfangreichen Verkostungsliste stehen nicht nur die großen Namen. »Wir achten sehr darauf, dass bei der Auswahl der Weine für die ›Große Pfalzweinprobe‹ auch jüngere Winzer und eher unbekannte Weingüter berücksichtigt werden. Manche haben durch diese Veranstaltung schon ungeahnte Aufmerksamkeit erlangt«, erklärt Ordensmeister Oliver Stiess. Damit gibt er zugleich ein Beispiel, wie die »Erhaltung, Förderung und Mehrung der Weinkultur« aussieht, die sich die Weinbruderschaft der Pfalz zum Ziel gesetzt hat – als das »Weingewissen der Pfalz« will die Weinbruderschaft dabei mitwirken, eine Balance zwischen Tradition und Innovation zu halten.
Die Pfalzweinprobe ist die größte von mehr als 50 Veranstaltungen, die die Weinbruderschaft der Pfalz jährlich in Neustadt an der Weinstraße ausrichtet. Nimmt man die Weinrunden in Landau, Bad Dürkheim, Speyer und Kusel hinzu und berücksichtigt man zudem die Pfälzer Ableger in München, Berlin, Nürnberg und in den Niederlanden, dann sind es sogar rund 140 Treffen im Jahr. Diese werden von den Mitgliedern selbst in ehrenamtlicher Tätigkeit organisiert. Gewinne werden in der Regel an wohltätige Einrichtungen gespendet. So zum Beispiel bei der Verkostung zum 150. Jahrestag des Trifelsvereins im vergangenen Jahr. Die Weinbruderschaft präsentierte hier Weine aus Regionen, die in der Geschichte der Staufer und damit der Burg Trifels eine wichtige Rolle gespielt haben – darunter Weine aus dem Elsass, aus Worms, aus Norditalien und Jerusalem. Der Erlös kam dem Trifelsverein zugute, dessen wichtigstes Ziel es ist, die Burg zu erhalten.
Ritter der Weinrunde
Die Treffen der Weinbruderschaft sind aber keineswegs immer Weinproben – auch Lesungen, Kunstausstellungen, Reiseberichte und wissenschaftliche Vorträge gehören zum Programm. Meistens aber spielt das Thema Wein dabei eine Schlüsselrolle. Schließlich definiert sich die Weinbruderschaft der Pfalz selbst als »Zusammenschluss weinfreundlich gesinnter und weinverständiger Männer zu einer dem ›Kulturgut Wein‹ – insbesondere dem Pfalzwein und dem deutschen Wein – verpflichteten Ordensgemeinschaft.« Angedeutet ist damit zugleich die Traditionsverbundenheit: Die Weinbruderschaft der Pfalz ist nach dem Vorbild eines mittelalterlicher Ritterordens aufgebaut. Der Vorstand nennt sich Ordenskapitel, ihm sitzt der Ordensmeister vor, es gibt einen kleinen und einen großen Konvent, angegliedert sind »Komtureien« als regionale Vertretungen.
Wein ist Gastfreundschaft
Tatsächlich ist die Pfälzer Weinbruderschaft jünger: Gegründet wurde sie erst im Jahr 1954. Dennoch ist die Pfälzer damit die älteste deutsche Weinbruderschaft. Und mit ihren weit mehr als 1.000 Mitgliedern zugleich auch die größte der rund 50 Bruderschaften, die sich zur Gemeinschaft Deutschsprachiger Weinbruderschaften zusammengeschlossen haben. Hier ist der Begriff »Bruderschaft« durchaus wörtlich zu nehmen: Frauen können keine Mitglieder werden. Dass die Weinbruderschaft der Pfalz deshalb eine Tabuzone für Frauen sei, weist Ordensmeister Stiess allerdings zurück: Damen seien bei mindestens der Hälfte aller Veranstaltungen gern gesehen. Grundsätzlich empfindet Stiess die Bruderschaft als offene Einrichtung: Jedem Weinbruder sei es nahezu jederzeit erlaubt, Gäste zu den Treffen mitzubringen – und selbst denjenigen, die niemanden im Orden kennen, werde bereitwillig die Tür geöffnet, verspricht Stiess. Er weist noch auf eine andere Seite der Offenheit hin: Es gebe keine parteipolitischen oder religiösen Bindungen. In den Weinrunden begegneten sich Menschen, deren Wege sich ansonsten eher nicht kreuzen. Hier treffe beispielsweise der einfache Arbeiter auf den Staatssekretär.
Kulturgut Wein trifft gute Weinkultur
Auch die Bereiche, in denen sich die Bruderschaft engagiert, sind vielfältig. So unterstützt die Weinbruderschaft auch soziale, kulturelle und karitative Einrichtungen, die wenig oder gar nichts mit Wein zu tun haben, etwa die Internationale Frühlingsakademie für Streicher mit ihrem Meisterkurs für Violine und Viola. Mehrheitlich aber ist natürlich der Wein das Bindeglied. Die Weinbruderschaft der Pfalz stiftet Ehrenpreise bei der jährlichen Landesweinprämierung, aber auch für einen Prunkwagen beim Festumzug zum Deutschen Weinlesefest. Jungwinzer bekommen Stipendien von der Weinbruderschaft. Und als Ordensmeister der Pfälzer Weinbruderschaft ist Oliver Stiess Mitglied der Jury, die im Namen der Pfalzwein- Werbung jährlich das schönste Weinfest der Pfalz auszeichnet.
»In vite vita« lautet der Leitspruch der Bruderschaft, »in der Rebe das Leben«. Und so, wie die Weinreben die ganze Pfalz beleben, so wirkt sich die Förderung der Weinkultur durch die Bruderschaft beinahe auf das gesamte kulturelle und soziale Leben hier aus. Es geht also immer, so fasst es Oliver Stiess zusammen, um regionales Engagement in Zeiten der Globalisierung.