Prickelndes Vergnügen: Pfälzer Winzersekt
Prickelndes Vergnügen: Pfälzer Winzersekt © ad lumina


Es gibt einen Grund zum Feiern? Dann wird nicht selten eine Flasche Sekt geköpft – es hat sich einfach so eingebürgert, da ein Gläschen „mit  Blubber“ belebend und anregend wirkt. Ein Gläschen Schäumer zum Anstoßen auf der Arbeit, weil heute ein Geburtstag ist oder ein toller Deal abgeschlossen wurde, da sagt keiner etwas dagegen. Mit Bier oder Schnaps sähe das völlig anders aus. Zudem: Sekt ist kein Getränk für Stänkerer, Nörgler oder Miesepeter. Denn Sekt macht heiter.

Doch selbstverständlich ist Sekt nicht gleich Sekt. Es gibt diejenigen, die mit Können und Sorgfalt entstanden sind, andere weisen lediglich die Rahmenbedingungen auf, also ordentlich Druck unterm Korken, damit´s schön ploppt und die Bläschen im Glas hochsteigen. Der Kunde hat inzwischen eine riesige Auswahl, fast jedes Weingut bietet heute mindestens einen eigenen Sekt an, viele sogar mehrere. Das war längst nicht immer so. Der sogenannte Winzersekt kann auf noch nicht einmal 40 Jahre Geschichte zurückblicken.

Dabei hat Sekt in der Pfalz eine sehr lange Tradition, die an großen Namen hängt. Einer davon ist Fitz-Ritter in Bad Dürkheim, dessen Sektkellerei – das Weingut ist wesentlich älter – 1837 gegründet wurde und bereits im dritten Jahr seines Bestehens 50.000 Flaschen „moussierenden Haardtwein“ herstellte.  Die Flasche kostete 1 Gulden und 30 Kreuzer, was dem Zehnfachen für eine Flasche Wein entsprach, und schon 1850 wurden die ersten Sekte exportiert. Einige Jahrzehnte später startend, spielte auch das Schloss Wachenheim eine prägende Rolle. Nach einem eher unrühmlichen Beginn als Schaumweinfabrik 1888 holte man kurz darauf mit Carl Josef Wagner einen Betriebsleiter, der als Fachmann voll und ganz auf traditionelle Flaschengärung nach dem Vorbild der Champagne setzte. Was bedeutet, dass der Sekt die zweite Gärung – die erste ist ja die alkoholische – in der Flasche vollzieht, in der er später auch verkauft wird. Auf einfachere Verfahren gehen wir gleich noch etwas ein. Heute werden am Standort Wachenheim lediglich die Premium- und Platinsekte produziert und es wird für zahlreiche Betriebe versektet. Der weitaus größte Teil dessen, was als Marke Schloss Wachenheim im Handel ist, entsteht nach dem Kauf durch Familie Reh („Faber Sekt“) am deren Stammsitz in Trier.

Sektproduktion und -absatz waren gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts derart erfolgreich (1896 gab es bereits 100 deutsche Sektkellereien!), dass der Staat unter Kaiser Wilhelm eine Schaumwein- bzw. Sektsteuer einführte, um mit dem Erlös die Kriegsmarine aufzubauen und den heutigen Nord-Ostsee-Kanal zu graben. 1933 zunächst abgeschafft und 1939 wieder eingeführt, besteht diese Steuer in Deutschland bis zum heutigen Tag und beträgt € 1,02 pro Flasche, was wiederum dem Finanzminister jährlich stolze € 450 Mio. in die Kasse spült. Dies freilich befeuerte bei den Herstellern den Wunsch, die Produktion weniger aufwändig und dafür kostentechnisch effektiver zu gestalten. Es wurde großflächig auf zwei andere Methoden umgestellt: Die Tankgärung und das Transvasierverfahren. Bei ersterer finden, wie der Name schon sagt, sowohl die alkoholische als auch die Sektgärung in einem Tank statt, die Flaschen werden später in einem Gegendruckverfahren befüllt. Beim Transvasieren gärt der Sekt in einer Flasche, wird am Ende aber in einen Tank umgefüllt und dabei filtriert, so dass die Hefe entnommen wird. Danach geht es ebenfalls auf eine Verkaufsflasche. Nach dem 2. Weltkrieg wurden beide Methoden weiter forciert, so dass die bekannten deutschen Markensekte die Regale beherrschten und gleichzeitig verhältnismäßig günstig angeboten werden konnten.

Mit zunehmend besserer Ausbildung der Winzer freilich wuchs bei diesen die Kenntnis darüber, was Qualität bedeutet. Das entfachte den Wunsch und den Reiz, größeren Vorbildern nachzueifern, in diesem Fall dem Champagner. Der Südpfälzer Herbert Roth vom Siebeldinger Weingut Wilhelmshof macht dies für sich zeitlich Ende der 1970er Jahre fest. Während des Studiums in Geisenheim fanden Ausflüge in die Champagne statt, um vor Ort in großer Ehrfurcht, aber mit viel Neugier zu lernen, wie diese traditionellen, handgerüttelten Produkte entstanden. Damals wurden 85 Prozent der deutschen Sekte von gerade mal zwölf Kellereien hergestellt. Winzersekte, wie sie heute in aller Munde sind, waren völlige Exoten – das sollte sich durch Herbert Roth und seine Mitstreiter ändern. Beim ersten Versuch setzte er gerade mal 52 Flaschen an, eine für jeden Sonntag des Jahres. Doch Roth, nebenbei noch Schatzmeister des Pfälzer Erfinderclubs, war nun angefixt, er wollte mehr und entsprechend tüftelte er immer weiter. In Epernay kaufte er auf dem Flohmarkt eine mehr als 100 Jahre alte Sektkorkmaschine, baute sich viele weitere Apparaturen selbst und hält Dutzende von Patenten in diesem Bereich. Natürlich bleibt Vieles Handarbeit, doch wo noch in den 1980ern fünf Personen 150 Flaschen pro Stunde degorgieren, versandfertig machen und neu verkorken konnten, schaffen heute zwei Personen 500 Flaschen.

An dieser Stelle soll kurz das „Degorgieren“ veranschaulicht werden: Während der traditionellen Sektgärung befindet sich ja Hefe in der Flasche. Die Flaschen stecken in ihrer ersten Phase horizontal ein einem Rüttelpunkt, das wie ein großes „A“ aussieht und pro Seite 60 Flaschen aufnehmen kann. Mit der Zeit sammelt sich die Hefe am tiefsten Punkt in der Flasche an. Nun wird jede Flasche jeden Tag „gerüttelt“, d. h. sie wird in einem bestimmten Maß gedreht und etwas steiler ins Pult gestellt. Ganz zuletzt steht die Flasche quasi auf dem Kopf und ein Hefepfropf hat sich am Kronkorken abgesetzt. Das Degorgieren ist nun das Entfernen dieses Pfropfens: Der Kronkorken wird entfernt, die Hefe spritzt heraus, und was verloren gegangen ist an Flüssigkeit, wird mit Wein wieder befüllt. Das ist dann die „Versanddosage“.

Auch steuerliche Knüppel wurden den Sektmachern unter den Winzern zu Beginn zwischen die Beine geworfen. Sekt gehöre nicht zur landwirtschaftlichen Grundproduktion und sei mithin ein neu anzumeldendes Gewerbe, argumentierte das Finanzamt. Erst 1986 wurde diese Ansicht fallengelassen. Da machte es Sinn, dass sich Gleichgesinnte zusammenschlossen. 1988 wurde die Vereinigung Sektgüter Rheinpfalz (VSR) gegründet, ein Verband, der sich preislich wie qualitativ bewusst absetzen wollte von den Massenerzeugern. Dabei waren von der ersten Stunde an auch Kollegen wie Bergdolt, Wehrheim, Knipser, Jülg, Bernhard Koch, Scheu oder Lucashof. Man erlegte sich Kriterien auf, die teilweise sogar strenger waren als für den Champagner. Die Grundweine sollten Zeit zur Reife bekommen, weswegen man nicht vor dem 01. März des Folgejahres versekten durfte. Die Sekte, erzeugt aus Riesling, Weißburgunder oder Spätburgunder, mussten zudem mindestens 15 Monate auf der Hefe lagern und danach eine interne Prüfung durchlaufen. Produziert werden mussten sie aus eigenen Weinen und gefüllt im eigenen Betrieb. Auch der Verband der traditionellen Flaschengärer, der inzwischen Verband Deutscher Sektkellereien (VDS) heißt, trug zu dieser Entwicklung maßgeblich bei. 

Im Gegensatz zum Champagner, der als Marke etabliert und geschmacklich meist gleich sein soll, sind beim Winzersekt die schmeckbaren Jahrgangsunterschiede durchaus gewollt. War es noch vor 40 Jahren das Ziel, sich überhaupt erst einmal an die Produktion einwandfreier Sekte auf dem heimischen Weingut Schritt für Schritt heranzutasten, so haben sich die Winzer des Anbaugebiets Pfalz als wahre Antreiber erwiesen. Nirgends waren die Dynamik und das zielgerichtete Streben größer als hier, wenn man im Zusammenhang mit Sekt von höchster Qualität spricht. Als einer der Ersten erkannte der Bockenheimer Winzer Volker Raumland, auch er Gründungsmitglied des VSR die Möglichkeiten. Heute ist er zwar ein paar Kilometer weiter im rheinhessischen Flörsheim-Dalsheim ansässig, doch revolutionierte er Mitte der 1980er Jahre das Geschmacksbild des deutschen Sektes unwiderruflich. Zu dieser Zeit gab es seiner Aussage nach noch wenig wirklich gute deutsche Sekte aus deutschen Grundweinen. Einer seiner ersten Versuche bestand aus dem Versekten eines im väterlichen Holzfass ausgebauten Müller-Thurgau – und ausgerechnet dieser Wein gewann bei einer großen Blindverkostung mit Sekten und Champagnern den ersten Platz!

Für Raumland stand von Beginn an der Grundwein als Basis im Vordergrund, mit einem guten Säurekonstrukt, einem niedrigen pH-Wert sowie einer kühlen und langen Lagerung, damit sich der Sekt langsamer entwickeln kann. 3-6 Jahre auf der Hefe sollten es sein, denn erst dieser sogenannte Autolyseprozess bringt den Geschmack nach Brioche, Nuss und Brotkruste. Den Champagnergeschmack eben.

Und Raumland stieß mit einer kleinen Anzeige in einem Branchenblatt 1985 die Tür zum Sektmachen für viele Kollegen ganz weit auf: Er bot eine mobile Lohnversektung an. Mit einem Anhänger, auf dem alle notwendigen Gerätschaften zum Versekten und Degorgieren installiert waren, kam er auf die Weingüter. Der Service kam prompt an und überstieg mitunter die Kapazitäten. Auch weitere Kollegen nutzten die Nachfrage und die neuen, gewonnenen Erkenntnisse, so dass die Pfalz inzwischen über eine breit gestreute Mischung aus auf dem eigenen Gut versekteten Schäumern und solchen zusammensetzt, die im Lohn versektet wurden. Bekannte Dienstleister etwa sind die Sektkellereien Heim, Am Turm, Deidesheim, Andres & Mugler oder eben auch Schloss Wachenheim. Insofern müssen Winzer die nicht ganz einfache Kunst des Flaschengärens nicht zur Gänze selbst beherrschen, sondern sie können sich helfen und auch beraten lassen.

Eine immer größere werdende Zahl an Betrieben wagt sich aber dann doch daran, denn mit handgerütteltem Sekt kann man bei seinen Kunden hervorragend punkten. Bei Reichsrat von Buhl gehörte Sekt schon immer zum Portfolio. Einen ganz neuen Dreh nahm das 2003, als es gelang, den aus dem Elsaß stammenden Mathieu Kauffmann als Kellermeister von Bollinger loszueisen und in die Pfalz zu lotsen. Kauffmann entwickelte Premiumsekte, denen er 8-10 Jahre bis zum Verkauf gab. Dem Ruf der Pfalz als Sekt-Dorado hat das nicht zu noch mehr Nahhall verholfen. Inzwischen baut er gemeinsam mit dem Weingut A. Christmann in Gimmeldingen ein eigenes neues Sektgut auf. Furios auch die Sekte der jüngeren Generation. Was bei Betrieben wir Krack, Leiner, Reinhardt, Scheuermann oder Eymann an Sekten entsteht, ist absolut individuell und hat mit middle-of-the-road rein gar nichts zu tun.

Handgemachte Sekte machen übrigens nur einen minimalen Anteil an der Gesamterzeugung von Schaumweinen in Deutschland aus, es ist gerade mal 1,1 Prozent vom ganzen Kuchen, der übrigens beständig kleiner wird, weil die Deutschen insgesamt weniger Schaumweine trinken. Und dennoch sieht der Deutsche Sektverband einen eindeutigen „Trend zur Premiumisierung“. Wenn Sekt, dann richtig guten, sagen sich Weinfreunde. Wenn jemand bereit ist, entsprechend Geld für eine Flasche Sekt auszugeben, so wird aber auch eine entsprechende Qualität erwartet. Und damit hat sich auch die Wahl der Rebsorte erweitert. Erst die zunehmende Verwendung von Burgundersorten führte bei diesen Premiumprodukten auf ein weiteres Gleis, als nur auf den für Deutschland so wichtigen und repräsentativen Riesling als Grundwein zu setzen. Weiß- und Spätburgunder oder auch Chardonnay bringen zwar weniger Frucht, erlauben aber mehr Charakter, Finesse und Eleganz. Riesling hingegen besticht durch seine kristalline, frische Art. Eher Nischenprodukte sind Sekte aus Bukettsorten wie Muskateller, Scheurebe oder Sauvignon Blanc

Auch in einem weiteren Punkt besteht ein großer Unterschied zwischen den bekannten Markensekten für ganz kleines Geld und dem ernsthaften Sekt aus einem Weingut – letztere sind in aller Regel deutlich trockener. Und hier stößt der geneigte Leser auf einen äußerst unglücklichen Umstand im Bezeichnungsrecht bei Sekt. Entgegen dem gesunden Menschenverstand, der einem sagt, dass etwas trocken schmeckt, wenn „trocken“ auf dem Etikett steht, sind bei einem trockenen Sekt bis zu 32 g/l Restzucker erlaubt. Für „extra trocken“ sind es maximal 17 g, doch das ist für viele Sektfreunde immer noch zu süß. Interessant wird es für sie erst mit „brut“, „extra brut“ oder gar „brut nature“, der unter 3 g Restzucker liegen muss. Das, so sehen es Fachleute, bringe den Charakter eines Sektes am besten zur Geltung. Schmeckt aber andererseits nicht Jedem. Das Gros der in Deutschland getrunkenen Sekte bewegt sich im Bereich „trocken“.

Da auch die Sektwelt nicht stehen bleibt, wird versucht, eigene, individuelle Nischen zu finden. Zuletzt populär war das Aufkommen des Pét Nat. Dahinter steckt das französische „pétillant naturelle“, was sich mit „natürlich prickelnd“ übersetzt. Das Ergebnis ist ein Schaumwein, der nicht zwei, sondern nur eine Gärung durchlaufen hat, denn der frische oder bereits gärende Most kommt direkt in die Flasche. Ein vergleichsweise einfaches, aber durchaus spannendes Verfahren, denn wie der Schäumer am Ende schmeckt, ist noch weniger vorherzusehen als beim traditionellen Versekten. Ein Pét Nat wird meist so in den Markt gebracht, wie er ist, also ohne ein Degorgieren. Beim Öffnen der Flasche dehnt sich dann die Hefe wieder aus, der Pét Nat wird trüb. Unter Trendsettern der letzte Schrei.

Marie Menger-Krug von der Sektmanufaktur Motzenbäcker in Deidesheim geht einen ähnlichen Weg, kommt jedoch zu einem anderen Ergebnis. Für ihre „Méthode Rurale“ greift sie ebenfalls auf die ursprünglichste Form des Versektens zurück, nämlich auf eine einzige Gärung. Die reifen, komplett gesunden rauben presst sie zart an, lässt den Most im Edelstahl etwas sedimentieren und gibt die Hefen hinzu, die mit ihrer Arbeit beginnen. Ohne jeglichen Filter kommt das auf Flasche, wodurch nie hundertprozentig sichergestellt werden kann, dass sich kein Weinstein bildet. Am Ende wird definitiv degorgiert, denn Menger-Krug möchte ein kristallklares Traubenaroma und daher alles ausschließen, was dies kaschieren könnte. Übrigens waren schon Maries Eltern Sektfanatiker und ließen in den 1980ern den Zusatz „Erstes deutsches Sektgut“ auf Preislisten und Briefkopf drucken.

Eine neue Qualitätsoffensive übergreifend für deutsche Sekte zündete soeben der Verband Deutscher Qualitätsweingüter (VDP) mit dem VDP.SEKT.STATUT. Jahrgangssekte müssen mindestens 24 Monate (VDP.SEKT) bzw. 36 Monate (VDP.SEKT.PRESTIGE®) auf der Hefe liegen. Große Sekte dürfen auch viel länger reifen. Die Rebsorten definiert jede Region individuell, klassischerweise sind das Riesling und die Burgundersorten, ergänzt um regionale Klassiker. Aus der Erkenntnis heraus, dass eine wie beim Wein allein auf Herkunft setzende Sektklassifikation der Bandbreite deutscher Spitzensekte nicht immer gerecht wird, bereichern Rebsorten- und Lagencuvées das Spektrum der Sekte im VDP.

Man sieht, Sekt ist nicht nur versprudelter Wein, es steckt viel mehr dahinter an Herstellungsweisen, grundsätzlicher Philosophie oder Geschmacksrichtung. Und Sekt eignet sich, was zu wenig bekannt ist, ausgesprochen gut als Speisenbegleiter, und zwar über ganze Menüs hinweg.