von Dr. Fritz Schumann, Staatliche Lehr- und Forschungsanstalt, Neustadt

Schon vor den ersten Menschen ...

Weingut Reichsrat von Buhl
Weingut Reichsrat von Buhl © Dieth & Schröder

Rebengewächse gab es in Deutschland schon lange vor den ersten Menschen. Interessant sind aber erst Vorkommen von Wildreben nach der Eiszeit ab etwa 5000 v.Ch. Deren Trauben wurden selbstverständlich von den vorgeschichtlichen Menschen gesammelt und frisch oder getrocknet als Rosinen gegessen. Vielleicht ist bereits damals einem Liebhaber süßen Traubensaftes der nicht gleich getrunkene Saft verdorben und wurde zu Jungwein. Aber darüber schweigen die archäologischen Belege.

Wein ist »in«

Die ersten Weintrinker dagegen waren in unserem Gebiet vor 2500 Jahren die keltischen Fürsten. In ihren prunkvollen Gräbern bekamen sie das ganze antike Weininventar, von der Weinamphore über Becher, Kannen und Trinkgefäße mit ins Grab - zur Nutzung im Jenseits und zur Freude der Archäologen. Die keltischen »Herren von Rodenbach oder von Bad Dürkheim« tranken sicherlich nicht aus leeren Gefäßen, sondern importierten von Südfrankreich über die Rhone und die Burgundische Pforte auch Wein. Aber Wein war damals noch das Getränk des Adels und vielleicht auch schon Opfergabe für die Götter. Allgemein wurde, wie  Tacitus für die Germanen schreibt, vergorenes Getreide, d.h. Bier getrunken.
 Bei den Kelten ist auch eine eigene Weinerzeugung wahrscheinlich, denn nicht nur Gefäße wurden aus dem Süden importiert, sondern auch Fachleute, z. B. Architekten zum Bau der Heuneburg. Wenn Menschen, die mit der Kunst der Weinbereitung, dem Geheimnis wie aus Traubensaft Wein wird vertraut sind, in ein Gebiet mit Wildreben kommen,  warum sollten sie nicht ihren Hauswein hergestellt haben? Archäologisch nachweisbar ist es bisher nicht.

Weingut Dr. Deinhard
Weingut Dr. Deinhard © Dieth

Die Römer brachten Weinberg und Keller in die Pfalz

Römervilla Ungstein
Römervilla Ungstein © Inge Weber

Sicherer wird die Annahme von Formen der Weinkultur mit der Eroberung Galliens und Germaniens durch die Römer. Um 50 v. Chr. wurde der Rhein die Grenze des Römischen Reiches. Mit den Soldaten kamen in großer Zahl weingewohnte Männer in unser Gebiet. Man benötigt nur ein Tierfell, einen großen Korb und Gefäße, um Wein herzustellen. Ein Korb könnte als Kelter gedient haben, in einem großen Fell könnte der Most aufgefangen worden sein und der nächste Schritt wären etwas größere Gefäße, wie etwa Amphoren, in denen der Most zu Wein gären könnte.
Die Hinweise auf römischen Weinbau verdichteten sich weiter durch Weinbaugeräte wie Winzermesser, Sicheln, Weingefäße und bald nach den Römern einsetzende frühe Weinbergsnennungen. Der Erzieher der Kaisersöhne Gratian und Valentinian Ausonius (310-393 n.Ch.), beschreibt um 371 Weinberge und Winzer an der Mosel.
Direkt greifbar wird römischer Weinbau an Rhein und Mosel mit dem Freilegen römischer Kelterhäuser im Rahmen von Weinbergsflurbereinigungen ab 1980. Das für die Pfalz entscheidend wichtige Römische Kelterhaus auf dem Weilberg in Ungstein wurde im Jahre 1981 gefunden. Es ist wie weitere Villen mit vermuteter Weinherstellung Teil eines Landgutes mit vielfältiger Bodennutzung.  Zwischen zwei höher liegenden Traubentretbecken liegt das quadratische Mostsammelbecken, von dem aus der Most in die Fässer zur weiteren Verarbeitung gelangte. Interessanterweise liegt in Ungstein das Mostsammelbecken zwischen zwei Tretbecken, während sie an der Mosel immer vor den Tretbecken liegen und durch Kanäle oder Rohre damit verbunden sind. Es scheinen unterschiedliche Bauvorstellungen bei der Errichtung geherrscht zu haben.
Die im römischen Weingut Weilberg in Ungstein in einem Bleigefäß erhaltenen oder die in den Kelterhäusern an der Mosel erhalten gebliebenen Rebsamen erlauben Rückschlüsse auf Rebsorten. Danach wurden Trauben von Wildreben oder nahestehenden Formen,  aber auch Rebsorten mit länglicheren Samen wie sie Traminer, Riesling oder die Burgunderarten haben, genutzt. Große, längliche Rebsamen, wie sie der Elbling, der Gutedel oder der Trollinger haben, wurden nicht gefunden.
Nach dem Rezept des antiken Schriftsteller Columella wurde Mostkonzentrat hergestellt, das als Honigersatz in der Küche aber auch zum Verbessern oder zum Süßen des Weines verwendet wurde. Danach wurde Most, der als erstes von der Kelter läuft, in einem Bleigefäß auf die Hälfte bis ein Drittel eingedickt und blieb dann wie Sirup süß. In den Kelterhäusern gefundene Holunder- und Brombeersamen deuten wie Kirschkerne auf Rotweinbereitung mit Farbvertiefung hin. Im Kelterhaus von Erden gefundene Kalkfässer zeigen, daß man sich auch in säurereichen Jahren zu helfen wußte. Einige Kelterhäuser besitzen  Tretbecken mit Fußbodenheizung. Damit konnte bei später Lese und kalter Witterung den kalten Füßen der Traubentreter und Gärverzögerungen begegnet werden

In  dem Kelterhaus auf dem Weilberg wäre, ausreichend Personal und Fläche vorausgesetzt, die Produktion von 100 – 200 Fuder  Wein im Jahr, möglich gewesen. Sicherlich war dieser Wein nicht die wirtschaftliche Basis der  riesigen Villa, sondern es war eine durch ihren festen Bestand interessante, zusätzliche Einnahme, die ähnlich unseren Weinprobierkellern auch repräsentativen Aufgaben eines reichen Römers erfüllen konnte. Dafür sprechen zwei im Kelterhaus gefundene, aufwendig gearbeitete  Sandsteinsäulen mit Auflagen für einen Preßbaum. Der repräsentative Charakter tritt besonders ausgeprägt im auf drei Ebenen arbeitenden Kelterhaus in Piesport zu Tage.
Jeder möchte wissen, wie der Wein vor 2000 Jahren geschmeckt hat. Nun, der Bitzler und Federweiße genau wie heute. Nach der Gärung kam es zum großen Unterschied. Der römische Wein wurde ohne Schwefel rasch braun und oxidativ. Aus vollreifen Trauben wurden Sherry-artige Weine. Bei weniger reifen Trauben alterten die Weine rasch und zerfielen bald wegen zu wenig Alkohol. Die Säure verstand man durch gemahlenen Marmor (Kalk) zu mindern. Vor dem Genuß wurde der Wein mit Honig oder Mostkonzentrat gesüßt, mit Kräutern aromatisiert und durch ein Leinentuch gefiltert.

Wer einen römischen Winzer bei der Arbeit besuchen will, kann dies im Weinmuseum der Pfalz in Speyer tun. Auf einer Säulentrommel ernten zwei Eroten mit dem römischen bzw. dem griechischen Winzermesser ihre Trauben. Im gleichen Museum kann auch flüssiger Wein aus römischer Zeit besichtigt werden. Unter einer dicken Harzschicht ruht in einer an die Form der Bardeaux-Flaschen erinnernden Delphinflasche der bereits damals mit Honig gesüßte Wein.
Aber nicht nur in der Flasche steckt der römische Wein. Jeder von uns benutzt römische, den Weinbau betreffenden Lehnworte, wie Winzer, Wein, Most, Logel, Keller oder das Wort Wein selbst.

Arbeiten im Weinberg
Arbeiten im Weinberg © Faber & Partner

Die Franken übernahmen die Weinberge

Heute geht man auch davon aus, daß nicht nur das ideelle Wissen um den Wein aus der Römerzeit ins Mittelalter übernommen wurde, sondern auch die Weinberge. An der Mosel wie in der Pfalz ist an den Plätzen mit römischem Weinbau sehr früher fränkischer Weinbau nachgewiesen.
Mit der Christianisierung und der Errichtung großer Klöster, wie Prüm, Weißenburg, Lorsch und Klingenmünster wuchs der  Weinbedarf stark. Sie haben gleichlaufend mit der Verbreitung des Christentums für die Ausbreitung  des Weinbaus nach Norddeutschland gesorgt, denn für die tägliche Messe mußte Wein vorhanden sein. Gleichzeitig waren die Priester und Mönche an einem guten Wein interessiert. Sie haben deshalb die antiken Weinbauschriften abgeschrieben und den Weinbau veredelt.
Wenige Generationen nach der Übernahme des römischen Erbes schenkten die Nachfahren der fränkischen Eroberer aus Angst um ihr Seelenheil diesen Klöstern Dörfer, Häuser, Äcker. In etwa der Hälfte der Urkunden werden dabei Weinberge genannt

Klaus Issler bei der Weinlese
Klaus Issler bei der Weinlese © Inge Weber

Nach dem Zeugnis von Urkunden schenkte im 7. Jahrhundert König Dagobert I. dem Petersstift in Worms und dem Bischofsstift in Speyer Weinberge. Sein Nachfolger Siegbert der Dritte bestätigte 653 dem Bischof von Speyer den Weinzehnt im Speyergau. Letztlich soll der linksrheinische Teil Deutschlands bei der Teilung des Reiches Karls des Großen wegen seines Weinreichtums zum Ostreich gekommen sein,  weil dieser sonst dort gemangelt hätte.

Der frühmittelalterliche Weinbau

Über den frühmittelalterlichen Weinbau  wissen wir nur wenig. Karl der Große hat in seinem Capitulare de villis für die königlichen Güter angeordnet:
daß dort, wo  Trauben reifen, Reben gepflanzt werden,
daß Sauberkeit bei der Verarbeitung des Weines herrscht,
der Wein nicht in Fellen gelagert werden darf und
daß Kränze zur Kennzeichnung der Verkaufsstellen, der Straußwirtschaften, bereitgehalten werden müssen.
Leider wissen wir fast nichts über die Rebsorten des Mittelalters. Es gab guten Wein, der als fränkischer bezeichnet wurde. Der weniger gute war der hunnische Wein. Die große Ausnahme ist der Blaue Spätburgunder, den Karl der Dicke 884 von Burgund an den Bodensee gebracht hat. Er verbreitete sich östlich des Rheines als Klävner, Klebroth nach Norden. Während die Bezeichnung Burgunder auf einer Einfuhr von Reben im 18.Jh. von Burgund an die Ahr beruhen soll.

Rebsorten werden interessant

Alter Rebstock
Alter Rebstock © Inge Weber

Die entscheidenste Entdeckung für die Weinkultur, die Verwendung verbrannten Schwefels bei der Weinbereitung, wurde im gleichen Jahrhundert wie die Buchdruckerkunst  gemacht. Im Reichstagsabschieden von 1487 und 1497 in Rothenburg bzw. Freiburg wurde die einmalige Verbrennung von einem Lot Schwefel auf 768 Maß (16,2 g/860 l) gestattet.  Der Wein wurde nun nach der Gärung nicht mehr rasch braun und oxidativ, sondern er blieb gelbgrün oder rot und behielt sortentypische Aromen. Damit wurden Rebsorten interessant. So taucht 1435 die Sorte Riesling auf einer Notiz über Rebenkauf in Rüsselsheim und 1490 in Worms in einem Weinberg auf. 1551 kommt nach Bock der Riesling an Rhein und Mosel, im Wormsgau vor, Truscht (Räuschling) und Elbling um Landau, Gänsfüßer um Neustadt und Deidesheim und der Harthengst (Orleans) um Dürkheim und Wachenheim. Frühschwarz oder Kleber, d.h. Früh- und Spätburgunder bei Weißenburg. Der Heunisch als alte Massensorte war wie der Elbling allgemein in Deutschland verbreitet und der Muskateller an einigen Orten.
Noch betreffen die Sortenangaben aber den Kauf von Pflanzreben oder die Beleihung von Weinbergen oder im »Kreuterbuch«  von Bock allgemeine Standortangaben. Als Weinbezeichnung taucht der Sortenname nur beim Gänsfüßer schon Anfang des 16. Jhs. auf. Auch die erste deutsche Rebsortenverordnung erließ 1584 der Kurfürst von der Pfalz Johann Casimir für Gänsfüßerweinberge in Neustadt, die ohne Neupflanzung nicht mehr ausgehauen werden durften.
Die weiteren Sorten-Verordnungen erschienen erst im 18. Jahrhundert. Sie sind auch gleich sehr umfassend und wurden von den Bischöfen von Trier ebenso wie von den Kurfürsten der Pfalz und den Bischöfen von Speyer wie auch von den Grafen von Leiningen erlassen. Riesling, Traminer und nach 1711 der Ruländer gehörten zu den empfohlenen Sorten. Heunisch, Trollinger, Elbling und Gutedel sollten ausgehauen werden.  Damals entwickelte sich ein allgemeines Qualitätsbewußtsein. Aber eine geordnete Qualitätsweinbereitung war noch nicht möglich, denn einerseits standen bis 1900 die Rebsorten gemischt in einem Weinberg und zum andern durfte die Lese dieses Gemisch erst nach der Erlaubnis durch den Landesherrn beginnen und mußte schleunigst abgeschlossen werden, d.h. überreife und unreife Trauben kamen zusammen auf die Kelter.
Die Mehrzahl der Verordnungen galten der Sicherung des Zehnten, d.h. der Steuern oder der Vermeidung von Ausfällen durch Frost. Aber auch der Bekämpfung von Schädlingen wie den Rebstecher oder ganz modern der Rebflächenausweitung.

Hoher Weinverbrauch aus Riesenfässern

Im Vergleich zu heute war der Weinverbrauch sehr groß. Auf 100 bis 150 l pro Kopf und Jahr laufen die Schätzungen; in den Weinbaugebieten gehen sie bis zu 300 Litern. Für das Kloster Limburg und für die Hartenburg in Bad Dürkheim wurde für das 15. Jh. ein Weinverbrauch von etwa einem Fuder je Kopf der versorgten Haushaltsmitglieder errechnet.
So wie die Steuern als Zehnten in Naturalien entrichtet wurden, wurden auch die Gehälter der Beamten, Lehrer und Pfarrer in Naturallohn ausbezahlt. Hinsichtlich des Weines waren im Jahr etwa ein Stück mit 1200 Litern Wein, bei Frauen die Hälfte üblich. Um Beanstandungen wegen unterschiedlicher Weinqualität vorzubeugen, behielt sich der Kurfürst von der Pfalz für seinen Haushalt die beste Qualität, die zweite Qualität für die höheren Beamten vor. Der Rest kam in die Riesenfässer, wie auf der Kästenburg in Hambach eines von den Bischöfen von Speyer stand.  Darin wurde der Wein egalisiert. Niemand konnte sich über schlechte Weinqualität beklagen. Während das Riesenfaß von Hambach bereits 1525 im Bauernkrieg vernichtet wurde, ist das letzte Riesenfaß von Carl Theodor auf dem Heidelberger Schloß noch heute eine Attraktion für die Besucher.

Qualität groß geschrieben

Mit Ausnahme der Einführung der Verwendung des verbrannten Schwefels bei der Weinherstellung unterschied sich der Weinbau selbst nur wenig von dem der Römer 2000 Jahre vorher. 1775 wurde zwar auf dem Johannisberg im Rheingau die Bedeutung der Spätlese wieder entdeckt. Aber erst nach dem Ablösen der Zehntrechte und der engen Lesevorschriften und der Entstehung der großen Weingüter setzte das Qualitätsbewußtsein ein, das in großen Auslesen 1811 und 1822 seine Krönung fand.
Auch die weiteren Änderungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erstreckten sich auf die Kellerwirtschaft. Durch die Ablösung des Rohrzuckers durch den chemisch gleichen Rübenzuckers und dessen Verbilligung wurde bis zur Mitte des Jahrhunderts die Verbesserung des Weines wirtschaftlich. Man konnte nun, wie Bronner 1857 dramatisch beschreibt, alle Jahre zumindest eine Durchschnittsqualität erzeugen. Vorher schwankten die Weinpreise von Jahr zu Jahr, je nach Qualität um den Faktor 10. Gleichzeitig wurde auch die Herstellung von Sekt, oder wie man damals sagte, Champagner von Hängen der Haardt, interessant. Die drittälteste deutsche Sektkellerei von 1837 arbeitet noch heute in Bad Dürkheim und der Revolutionär vom Hambacher Fest, der Rote Fitz aus Bad Dürkheim, richtete um 1840 im ehemaligen Pfarrhaus in Pfeffingen eine Sektkellerei ein.

Um 1840 wurde auch die Voraussage der späteren Weinqualität erleichtert. Die Oechsle-Waage wurde eingeführt. Ihre Werte sind noch heute die Grundlage aller Qualitätsbezeichnungen, selbst wenn mit dem Refraktometer gemessen wird.

Neue Gefahren aus der Neuen Welt

Die  Fortschritte in der Kellerwirtschaft wurden überschattet durch Gefahren, die von den Weinbergen drohten. Um 1850 wurde Oidium aus Amerika eingeschleppt und im Schwefel recht schnell eine Bekämpfungsmöglichkeit gefunden. Nach 1860 folgte die Reblaus. Aber erst nach umfassenden Zerstörungen des europäischen Weinbaus wurde mit der Pfropfrebe ein gegen die »Verwüsterin« biologisch wirkendes Mittel entwickelt. Während man 1874 beim Erstauftreten in Deutschland auf dem Annaberg bei Bonn nur die Tiere ausrotten konnte, war beim Erstauftreten der Reblaus in der Pfalz, 1895 in Sausenheim, das Gegenmittel dank der Bemühungen des preußischen Staates in Geisenheim bereits bekannt. Aber bis in die Gegenwart steht das Bemühen, die Verbreitung der Laus zu begrenzen, trotz Pfropfrebe im Vordergrund der Bekämpfung.
1885 wurde der falsche Mehltau, die Peronospora, eingeschleppt. Das Gegenmittel, die »Bordelaiser Brühe« aus Kupfervitriol und Kalk wurde bis in die 50er Jahre verwendet und malte weithin die Weinberge blau.

Letztlich führten die neuen Gefahren zu grundlegenden Änderungen in der Weinbautechnik. Die alten Erziehungsarten wurden abgelöst. Ab 1880 wurden die Latten der offenen Kammererziehung durch Drähte ersetzt. Die hinderlichen Querlatten bei der geschlossenen Kammererziehung entfielen. Die Bodenbearbeitung in den Weinbergen, die vorher ausschließlich durch die Hand erfolgte, konnte nun durch Pferd oder Ochse mit Pflug und Risser vorgenommen werden. Die in fast allen Weinbaugebieten verbreiteten Formen der Pfahlerziehung wurden mit Ausnahme beim Weinbau auf  Steillagen aufgegeben.
Diese umfassenden Änderungen im Weinberg und im Keller machten das 2000 Jahre lang übliche Übergeben des Weinwissens vom Vater auf den Sohn unzureichend. Letztlich stand die Angst vor Peronospora und der Reblaus bei der Gründung der Weinbauschulen und Forschungsanstalten Pate.

Auf zum modernen Weinbau

Während der Weinbau sich in den ersten 50 Jahren des 19.Jh. gemächlich, unterbrochen von den beiden Weltkriegen, weiter entwickelte, waren die zweiten 50 Jahre von seiner totalen Umgestaltung geprägt. Als wesentliche Änderungen in der Anbautechnik in diesem Zeitraum sind zu nennen:
Die Weinberge haben sich von einer engen, niederen Kultur mit Standweiten von 1,20 m Reihenbreite, 1,00 m Stockabstand und 1,20 m hoher Laubwand zur großräumigen Form des heutigen Weinbaus mit 2,00 m x 1,20 m Standfläche und 2,00 m hohen Zeilen entwickelt. Dadurch war die Ablösung der Hand- und Pferdearbeit durch Maschinen möglich. Erinnert sei dabei an Rebenschneidegeräte bzw. pneumatische oder elektrische Hilfen dazu, Bodenpflege durch Mulchen, Fräsen und Rissern, Pflanzenschutz-, Laubschneide- und Heftgeräte und schließlich die Erntemaschine.

In der Zeit der Handarbeit und der Pferdeanspannung mußte jeglicher Bewuchs des Bodens frühzeitig beseitigt werden, weil in nassen Jahren höhere Beikrautbestände nicht mehr begrenzt werden konnten. Die größeren Zeilenabstände ermöglichten innerhalb einer Winzergeneration die Abkehr vom Ideal des braunen, bewuchsfreien Bodens aus der Zeit der Pferdeanspannung zum Vorbild des grünen, bewachsenen Bodens im Weinberg. Diese Umkehr wurde durch die Möglichkeit jederzeit den Beikrautwuchs durch Mulchen oder Fräsen zu verringern begünstigt. Sie wurde aber auch erforderlich, um Bodenverdichtungen verursacht durch das Befahren mit schweren Maschinen und Geräten vorzubeugen. Durch die Begrünung verminderten sich die Auswaschungsverluste von Nährstoffen so entscheidend, daß in Verbindung mit dem Verbleiben von Holz und Laub im Weinberg der Düngeraufwand auf ein Drittel der in den 50er Jahren ausgebrachten Menge gesenkt werden konnte.

Aus dem starr terminbezogenen Spritzen der Weinberge mit nicht oder nur wenig umweltfreundlichen Mitteln, wie Arsen, DDT und Kupfer, entwickelte sich ein Rebschutz nach Befallsprognose mit umweltfreundlichen, wirksameren Mitteln, die nur wenige Anwendungen erfordern. Teilweise kann durch Nützlingsschonung  bei Spinnmilben, durch den Einsatz von Pheromonen beim Traubenwickler oder resistenter Rebsorten und Unterlagen gegen die Reblaus auf die direkte chemische Bekämpfung völlig verzichtet werden.

Es ist verständlich, daß die auf Handarbeit und Rückentransport eingerichtete Weinbergsflur den Anforderungen der Technik nicht mehr genügte. In den vergangenen 50 Jahren, verstärkt in den letzten 25 Jahren, erfolgte daher als weitere Voraussetzung des neuen Weinbaus die Gestaltung der Rebfläche durch die Weinbergsflurbereinigung, die z.B. in der Pfalz über 75 % der Rebfläche für moderne Arbeitstechniken aufbereitet hat. Neben den Vorteilen für die Winzer wurden in verstärktem Maße ökologische Gesichtspunkte und Belange der Allgemeinheit wie Gestaltung der Kulturlandschaft, Biotopvernetzung und  Hochwasserrückhaltung bei der Neugestaltung berücksichtigt.

Gleichzeitig erfolgte die Umstellung auf Pfropfreben mit gegen die Reblaus toleranten Unterlagen und die Umstellung des Rebsortiments von fast 40% Silvaner, 25 % Riesling und 10%  Portugieser in den 50er Jahren auf die Hauptsorten Riesling und Rivaner mit den Begleitsorten Spätburgunder und Kerner, sowie Portugieser und Dornfelder. Auf den restlichen 10 Prozent tummeln sich neue Sorten in der Prüfung, aber auch traditionsreiche alte wie Traminer oder Burgunder. Diese Sorten sind alle erhaltungszüchterisch bearbeitet.  Für den Anbau stehen gleichmäßig fruchtbare Klone als Nachkommen einzelner besonders wertvoller Reben mit guten qualitativen Eigenschaften bereit.

Betriebswirtschaftlich gesehen haben sich in den letzten 50 Jahren die überwiegend kleinbäuerlichen Gemischtbetriebe mit Getreide, Hackfrüchten und Viehhaltung zu Weinbau-Spezialbetrieben entwickelt.
Bei der Einordnung der letzten 100 Jahre Weinbauentwicklung in die 2000 Jahre Weingeschichte, ist festzustellen, daß nie in der Vergangenheit so umfassende Veränderungen in einer so kurzen Zeitspanne erfolgten. Aus einem Berufszweig mit überwiegender Handarbeit, ist ein technisch hochentwickelter Beruf geworden. Aber am Ende der Erzeugungskette steht und stand in allen Zeiten der von der Witterung, dem Winzer, der Rebsorte und dem Standort geprägte Wein.

 

Arbeiten 1830 1880 1930 1980 2000
Rebschnitt 250 160 80 70 57
Biegen 200 190 90 50 18
Düngen 260 160 130 13 13
Bodenpflege 800 900 588 25 15
Laubarbeit 360 200 160 54 25
Pflanzenschutz   180 180 20 12
Lese 550 350 350 290 15
Kammerten 50 50 50 17 17
Verschiedenes     180 70 40
           
Akh/ha/Jahr 2470 2190 1808 609 212
% 100 89 73 25 9
Erträge l/ha 5500 2500 3500 12000 10000
Weinerzeugung l/Akh 2 1 2 20 50