Von der Magie zur Mikrobiologie
Die Gärung ist der entscheidende Moment im Leben eines Weines: Aus profanem Traubenmost wird ein geistreiches Kulturgut mit einzigartigem Geschmack. Jahrtausende lang wirkte diese Transformation auf die Menschen wie pure Magie – man hatte keine Ahnung, wie genau das erheiternde Traubengetränk eigentlich entstand. Erst im 19. Jahrhundert kamen verschiedene Wissenschaftler dem Phänomen auf die Schliche. Vor allem die Erkenntnisse von Louis Pasteur, dem „Vater der Mikrobiologie“, waren ein Durchbruch: Er enttarnte die alkoholische Gärung als Stoffwechselprozess von Hefezellen. Heute gehört ihre Summenformel in jeden Chemieunterricht:
C6H12O6 ---> 2C2H5OH + 2CO2 + Energie
Oder in Worten: Zucker (Glucose bzw. Fructose) wird zu Ethanol, Kohlendioxid und Reaktionsenergie. Um 1 % vol. Alkohol zu erzeugen, benötigt die Hefe zwischen 16 und 18 Gramm Zucker pro Liter. Indem er den Zuckergehalt des Traubensaftes ermittelt, kann der Winzer daher bereits im Vorfeld ziemlich genau errechnen, welchen Alkoholgehalt ein Most durch die Gärung erreichen kann. Dank dieser chemischen Erkenntnisse ist Wein deutlich planbarer geworden, als noch vor einigen Hundert Jahren!
Schlüsselfigur Hefe
Der eigentliche Star der Gärung ist die Hefe: Ein einzelliger Pilz, der in der Natur in unzähligen Variationen vorkommt. Beim Wein ist in der Regel die saccharomyces cerevisiae am Werk. Sie bringt die Gärung rasch in Gang und produziert nur wenige unerwünschte Nebenprodukte.
In puncto Hefe gibt es grundsätzlich zwei Ansatzpunkte: Die sogenannte Spontangärung setzt auf ein unkontrolliertes Einsetzen des Gärprozesses. Dabei sind viele verschiedene Hefestämme zugange, die ganz natürlich auf den Traubenschalen und in der Kellerflora vorhanden sind. Der Knackpunkt: Da so auch unerwünschte Hefen zum Zuge kommen können, geht man bei der Spontangärung ein gewisses Risiko ein – auch gelingt es manchmal nicht, einen Wein komplett durchzugären. Anhänger der Spontangärung meinen jedoch, dass so interessantere Weine entstehen.
Wer auf Nummer Sicher gehen will, greift dagegen zu Reinzuchthefen: Sie wurden aus Kulturen der saccharomyces cerevisiae gewonnen und stehen für zuverlässige Ergebnisse. Dabei steht den Weinmachern eine Reihe speziell ausgewählter Hefearten zur Verfügung, die sich z.B. perfekt zum Vergären von Rotweinen, von aromatischen Sorten oder auch von Sekt eignen.
Weitere Parameter der Gärung
Nach der Wahl der Hefe ist erstmal aufmerksames Nichts-Tun angesagt: Zwar wird der Verlauf der Gärung ständig kontrolliert und in Gärkurven dokumentiert. Doch ein Eingreifen wird in der Regel vermieden – es sei denn, etwas läuft schief: Kommt der Prozess mal nicht so voran, wie gewünscht, kann man den Hefen mit etwas Luftzufuhr oder speziellen Nährstoffen bei der Vermehrung ihrer Population helfen. Auch ein leichtes Erwärmen des Mostes kann den Stoffwechsel wieder in Gang bringen.
Apropos Temperatur: Grundsätzlich werden Weißweine bei niedrigeren Temperaturen (10 bis 18 Grad Celsius) vergoren als Rotweine (20 Grad und mehr). Ob eher kühl oder eher warm vergoren wird, hat dabei entscheidenden Einfluss auf das spätere Aroma des Weines. Bei Kälte wird die Bildung von Drops-Aromen, von vielen auch als „Eisbonbon-Note“ bezeichnet, begünstigt. Bei wärmeren Gärungen dagegen verflüchtigen sich manche Verbindungen und andere Aromen, die etwas breiter und oxidativer wirken, treten in den Vordergrund. Weil die Temperatur so stilprägend ist, statten die meisten Winzer ihre Tanks heute mit Kühlmöglichkeiten aus, die sich digital steuern lassen. Am Ende bleibt es jedoch eine Philosophiefrage, wie stark und in welche Richtung ein Kellermeister die Gärung beeinflusst.
Das Ergebnis: Eine einmalige Aromenwelt
Eine Gärung kann wenige Tage oder mehrere Monate dauern – doch irgendwann hat die Hefe allen Zucker aufgebraucht, der Wein ist trocken und das Blubbern im Keller verstummt. Es sei denn, ein restsüßer Wein soll entstehen: Hierfür wird die Gärung bewusst angehalten – starkes Kühlen und die Zugabe von Schwefel sind die Mittel der Wahl.
In jedem Fall ist nach dem magischen Prozess aus Traubenmost ein Jungwein entstanden – geschmacklich ein himmelweiter Unterschied! Dass Süße verschwunden und Alkohol entstanden ist, ist dabei beinahe zweitrangig: Viel interessanter ist, was sich aromatisch getan hat. Während Traubenmost gleich welcher Rebsorten für den Laien mehr oder weniger gleich riecht – nach Saft eben – zeigt ein Wein klar differenzierbare Charakteristika. Diese bezaubernde Aromenwelt wird erst durch die chemischen Umbauprozesse, die während der Gärung ablaufen, entschlüsselt. Vereinfacht gesagt, baut die Hefe nicht nur die Zuckermoleküle ab, sondern setzt dabei auch aromatische Verbindungen frei – erst damit werden die typischen Weinaromen für unsere Nasen erlebbar. Nicht ohne Grund wird auch alkoholfreier Wein zunächst vergoren, um dann wieder entalkoholisiert zu werden. Ansonsten würde ihm jede „weinige“ Art fehlen. Die Gärung ist also mehr als das Entstehen von Alkohol – sie trägt entscheidend zur Faszination Wein bei!