Den Anfang machten, wie so oft, die Römer. Sie ließen in Alpentälern etwa in Tirol einfach Weinfässer einfrieren. Das zu Eis gewordene Wasser blieb im Fass, das Konzentrat aus Extraktstoffen konnte abgefüllt und später getrunken werden - der Eiswein war geboren. Eine Rarität war dieses winterliche Naturprodukt schon damals, und daran hat sich in den vergangenen 2000 Jahren nichts geändert.Wann sich in Deutschland erstmals Winzer die Naturgesetze zunutze machten, um die begehrten Aroma- und Inhaltsstoffe der Trauben zu konzentrieren, steht dahin. Dem Vernehmen nach kamen fränkische Winzer Ende des 18. Jahrhunderts auf die Idee, gefrorene Trauben zu keltern - sei es aus Neugier oder weil ein Katastrophenjahr mit frühem Wintereinbruch dazu zwang. Doch noch vor hundert Jahren waren Eisweine eine große Seltenheit. Erst in den zwanziger und dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts, berichtet Fritz Schumann, ehemaliger stellvertretender Direktor der Staatlichen Lehr- und Forschungsanstalt in Neustadt-Mußbach, wurde vermehrt Eiswein hergestellt
Geringe Menge, hoher Preis
Den exquisiten Stoff, der als Grenzgänger der Jahreszeiten aus klirrender Kälte kommt (gelesen werden darf erst bei mindestens sieben Grad minus und die Trauben müssen in noch gefrorenem Zustand gekeltert werden) und doch die Süße des Sommers in sich trägt, wird es nie in großer Stückzahl an. Schließlich bringt ein Hektar Rebfläche normalerweise 10.000 Flaschen, beim Eiswein sind es nur 1000 bis höchstens 2000 Flaschen. Die freiwillige Mengenreduktion hat natürlich ihren Preis: Ein Eiswein unter 15 bis 20 Euro je Halbliterflasche ist kaum zu bekommen, begehrte Weine kosten manchmal dreistellige Summen - und werden nach einigen Jahrzehnten als gesuchte Raritäten nicht selten für mehrere Hundert Euro gehandelt. Wenn alles gut geht, kann sich der Wagemut des Winzers also auch bezahlt machen. Inzwischen gibt es in der Pfalz viele Winzer und Genossenschaften, die das Spiel mit der Natur wagen und die Trauben zumindest auf einer kleinen Rebfläche nicht zur üblichen Zeit ernten.
Gefahr durch Stare und andere Vögel
Das ist indes mit einem gewissen Risiko verbunden. Der Stiel kann faulen, so dass die Trauben zu Boden fallen und verderben, Stare und andere Vögel können den ungewohnten Leckerbissen in den Weinbergen entdecken und ernten oder - auch das kann in einem klimatisch begünstigten Gebiet wie der Region an der Deutschen Weinstraße vorkommen - die Tage oder Nächte mit tiefem Frost bleiben einfach aus. Eiswein-Spezialist Winfried Frey aus Essingen in der Pfalz erinnert sich noch an die mitleidvollen Blicke mancher Kollegen, als er vor mehr als dreißig Jahren erstmals auf einen guten Eiswein spekulierte: »Die meisten haben gemeint, der Frey lässt seine Trauben hängen.«
120 Grad Oechsle sind vorgeschrieben
Die Lese bei klirrender Kälte (sie beginnt meist morgens vor Sonnenaufgang, damit nicht der natürliche Temperaturanstieg alles zunichte macht) ist nichts für verwöhnte Naturen; das Keltern der tiefgefrorenen Trauben Schwerstarbeit für die Pressen, die dabei manchmal sogar kaputtgehen. Die Winzerkunst besteht vor allem darin, die wenigen Dutzend Liter meist klaren, goldfarbenen Traubensafts, die aus der Kelter fließen, zu Wein werden zu lassen. Denn 120 Grad Oechsle sind gesetzlich für einen Eiswein vorgeschrieben, meist bringen die Köstlichkeiten aus der Kälte weit mehr Mostgewicht - und damit natürliche Süße - auf die Waage.
Vergleichsweise geringer Alkoholgehalt
Der hohe natürliche Zuckergehalt steht indes einer schnellen Gärung, die der Winzer anstrebt, im Weg. »Warm stellen und Hefe dazu«, lautet das Rezept der Winzer. Frey erinnert sich noch an den Eiswein von 1985 mit 230 Grad Oechsle. Das Faß habe er im Sommer immer in die Sonne gestellt.»Doch es hat fast ein dreiviertel Jahr gedauert, bis sich genug Alkohol gebildet hatte.« Die wuchtige Süße der Eisweine, gepaart mit stattlicher fruchtiger Säure, sorgt indes gemeinhin für Missverständnisse: Solcher Wein müsse doch unheimlich schwer und alkoholreich sein, meinen viele. Dabei ist der Alkoholgehalt von Eiswein - verglichen etwa mit dem von Spätlesen oder trockenen Qualitätsweinen - gering. Sieben bis höchstens zehn Prozent Alkohol tragen die Raritäten in sich, doch an aromatischer Fülle und edler Süße lassen sie sich kaum überbieten.