Die einen betrachten die Entwicklung skeptisch als Modeerscheinung, die anderen begrüßen eine Rückbesinnung auf das Ursprüngliche: In der Weinszene werden seit einiger Zeit „Naturweine“ und „Orange Wines“ heiß diskutiert. Dahinter steckt der zunehmende Wunsch nach natürlich produzierten Lebens- und Genussmitteln – vielleicht aber auch viel mehr.
Der technologische Fortschritt hat die Weinherstellung innerhalb von wenigen Jahrzehnten grundlegend verändert. Mit Maschinen werden heute große Mengen Trauben zum richtigen Zeitpunkt schnell und effizient geerntet. Gezüchtete Spezialhefen schieben die Gärung kontrolliert an, in Behältern mit regulierbarer Temperatur wird sie zum gewünschten Ergebnis gebracht. So entstehen fehlerfreie, hochwertige Weine. Doch zugleich gibt es immer mehr Winzerinnen und Winzer, die sich den Weg von der Traube zum Wein auch vollkommen anders vorstellen können – und die auf Weinliebhaber stoßen, die bereit sind, für die Produkte solcher Experimente gute Preise zu zahlen. Die Rede ist hier von „Naturweinen“ und den sogenannten „Orange Wines“.
Wenngleich sich diese Weintypen oft nicht klar abgrenzen lassen, handelt es sich doch um Verschiedenes: Unter der Bezeichnung „Naturwein“ wird üblicherweise so etwas wie ein „auf die Spitze getriebener Biowein“ in rot oder weiß verstanden – definiert ist der Begriff im Weinrecht allerdings nicht. Ein „Orange Wine“ hingegen ist ein Weißwein, der wie ein Rotwein mit der Maische, also mit Traubenschalen und Kernen, vergoren wurde, so dass der Geschmack von viel Gerbstoff, ungewöhnlichen Aromen und eher zurückhaltender Frucht geprägt ist. Diese unkonventionellen Weine sind bislang zwar eher Nischenprodukte, sie kommen aber gerade bei einem jüngeren und sich als avantgardistisch verstehenden Publikum gut an. Immer mehr Winzer in der Pfalz stellen mit großem Erfolg „Orange Wines“ her, vor allem Biowinzer wagen solche Experimente – schließlich haben sie oft einen Wissensvorsprung gegenüber ihren konventionell arbeitenden Kolleginnen und Kollegen, wenn es darum geht, auf Maßnahmen aus dem Lehrbuch auch mal zu verzichten.
Über Geschmack lässt sich gut streiten
„Orange Wine“ wird gelegentlich auch in großen Tonamphoren vergoren – wie zu Beginn des Weinbaus vor mehreren tausend Jahren. Dieser Wein polarisiert: Der mit herkömmlichen Weinen vertraute Gaumen muss hier einige Irritationen verkraften. Und während die Gegner anführen, bei der Maischegärung von Weißwein gehe die gewohnte Rebsortencharakteristik völlig verloren, kontern die „Orange“-Befürworter, dass man den Weinberg wie auch die ganze Frucht ja gar nicht natürlicher im Wein widerspiegeln könne. Womöglich aber sind die Positionen gar nicht so unversöhnlich. Es ist beispielsweise bei der Herstellung von Pfälzer Weißburgunder oder Chardonnay der Spitzenklasse neuerdings nicht mehr selten, dass ein bestimmter Anteil – üblicherweise ein Zehntel bis ein Viertel – auf der Maische vergoren wird. Ohne die erfolgreichen Experimente mit dem „Orange Wine“ gäbe es das sicherlich heute so nicht.